2005

Goethe at Bremen.de

Eine ambivalente Konstellation kultureller Bezüge bildet den Hintergrund für das Projekt Goethe at Bremen.de, zu welchem neben photographischen Porträt-Prints, Diashow und Video von Matthias Haun komponierter Klang des Musikers Christian Höffling gehört. Das Verhältnis deutscher Sprache und Kultur, deren moralisches Ansehen in der Welt durch den Nationalsozialismus zutiefst gelitten hat, zum Programm des Goethe-Instituts als Agentur der Völkerverständigung, Goethe als Leitfigur für den Kulturaustausch mit Projekten für junge Leute aus aller Welt: Dies ist gleichsam das Papier, auf dem dieses Multimedia-Projekt geschrieben wird.

Matthias Haun stellt uns innerhalb eines Auftrags aus dem Goethe-Institut Bremen, ein photographisches Porträt des Instituts zu realisieren, diese jungen Leute exemplarisch vor. In den Prints mit eher graphischem Gestus nutzt er dabei meist klassische Porträtstrategien aus dem Repertoire der bildenden Kunst seit der Renaissance wie Freistellung, Monumentalisierung und Ausschnitt, mit dem Ziel, die jungen Leute aus den diversen Herkunftsländern als Individuen eindringlich dem Betrachter frontal zu präsentieren. Die Wirkung des Einzelporträts wird noch gesteigert durch Symmetrien und Abfolgen als Beziehungsmodi zwischen den großformatigen Einzelbildern, die einfühlsam für jede Person mit einem eigenen bildgestalterischen Konzept aufwarten. Die gleichsam kinematographische Inszenierung dieser Porträts in einer parallelen Diashow hilft uns auf subtile Weise, die Personen aus ihrer archaischen Entrücktheit oder posierenden Beiläufigkeit in der digitalen Zweidimensionalität zu befreien und sie uns, deren Herkunftsländer wir kaum oder gar nicht kennen, lebendig vorzustellen.

Bei den Videosequenzen arbeitet Matthias Haun mit ähnlichen Überblendungs- und Zoomtechniken, die das Einzelbild dynamisieren und – da es sich thematisch hier vorwiegend um das Kollektiv der ausländischen Gäste handelt – eine gemeinsame Aktion oder Gemeinsamkeit als Aktion inszenieren. Das Individuelle wird ins Verhältnis zu einer Kollektivität gesetzt, die in der Nivellierung der Alltagsunterschiede der verschiedenen ethnischen Gruppen – zumindest in der bildhaften Erscheinung – als Folge der Globalisierung reibungslose Unterstützung findet: auch in der Funktion, nicht standardisierte vorgefertigte Verhaltensmuster und deren (Konsum)-Zweck auf die Betrachter zu übertragen wie in der Werbung, sondern für das Programm zu werben, das die jungen Leute im Goethe-Institut vereint oder vereinen soll. Man kann die Bilder so verstehen, dass sie in Richtung einer toleranten transkulturellen Interaktion argumentieren.

Bruchstücke von Goethe-Texten, die das Video gliedernd mit einer zunächst durch den Auftragshintergrund begründeten Bedeutungsebene ausstatten, nimmt der an dem Projekt beteiligte Musiker Christian Höff-ling als Material für Klanggebilde, die mit den Bildsequenzen in einer seriellen Verbindung stehen. Durch verschiedene Zeitmaße bei Videosequenz und Tonsequenz kommen Verschiebungen gegeneinander zustande, die als spielerischer Verweis auf die dem Projekt inhärenten kulturellen Disparitäten und Ungleichzeitigkeiten aufgefasst werden können.
Kulturelle Missionen im Namen eines früheren, imperialen Deutschlands machte (wie auch bei den anderen ältern und effektiveren Kolonialmächten) in der damaligen Photographie ethnisch orientierte Porträts beliebt, die dann mehrheitlich rassistische Züge trugen.
Wenn man das Projekt mit seiner variationsreichen Ausstattung auf diesen photogeschichtlichen Hintergrund beziehen möchte, wird deutlich, welchen Gefahren Matthias Haun vermutlich gerade durch das Multimedia-Konzept erfolgreich begegnet. Denn es gibt ihn noch immer, diesen photographischen Blick auf Fremde als Objekte im Völkerkundemuseum. In den Photoarbeiten von Matthias Haun treten die Porträtierten hingegen durchweg als Subjekte auf, die kennen zu lernen sich lohnen könnte.

Gustav Tilmann